Unite Europe!

#PulseOfEurope nennt sich die junge Initiative engagierter und überzeugter Europa-Ja-Sager, die sich zur Zeit in vielen größeren Städten am Sonntag Nachmittag versammelt und für mehr Europa und gegen Nationalismus, Protektionismus und Isolationismus auf die Straße gehen. Überrascht war ich von der gewählten „Hymne“ der Pro-Europäer, denn sie stimmen allerorten einen Grand Prix-Klassiker an. Hier zu sehen in Frankfurt am Main im Februar 2017 (ab 4:19min):

 

 

„Insieme! Unite, unite Europe!“, sang Toto Cutugno für Italien 1990 beim Eurovision Song Contest und gewann mit diesem musikalischen Appell an die Einheit Europas den Wettbewerb. Und in der Tat: Der Song ist eine Europahymne par excellence: „Mit dir – so weit entfernt und so verschieden. Mit dir – einem Freund, den ich verloren glaubte. Du und ich – mit dem gleichen Traum. Gemeinsam – vereinige dich, Europa!“ Und im Refrain heißt es: „Immer freier werden wir. Es ist nicht mehr bloß ein Traum, du wirst nicht mehr alleine sein. Immer höher schwingen wir uns empor. Reich mir die Hand, dass wir zusammen entfliehen können. Europa ist nicht mehr fern. Dies ist ein italienisches Lied für euch. Gemeinsam – vereinige dich, Europa!“

 

 

Sicher, man kann Insieme: 1992 als typischen Italo-Pop-Schlager der frühen 1990er Jahre einmotten und sich allenfalls mit Amusement ob der ästhetischen Darstellung an der Präsentation von 1992 erfreuen. Zugleich kann man in der Eingängigkeit und dem Mitklatschfaktor auch Transmissionswellen erkennen, die den unbestreitbar hochpolitischen Inhalt des Liedes vermittel(te)n. Im Frühjahr 1990 war der sog. Eiserne Vorhang gerade einmal formal gefallen – kaum jedoch in den Köpfen der Menschen. Die Europäische Union war fast gänzlich eine westeuropäische Wirtschaftsunion (EWG). Der Auftritt Cotugnos war vielmehr Wunsch als Wirklichkeit und dennoch voll im Trend des Grand Prix-Jahrgangs von 1990: Etliche Titel thematisierten das Zeitgeschehen.

So sang die Österreicherin Simone in ihrem Song Keine Mauern mehr: „Zur selben Zeit vor einem Jahr, hat niemand sich’s gedacht, dass unser Freiheitsdrang den Sprung nach vorne macht. Gegenwart kommt in Fahrt, sie muss um jeden Preis bunter sein, nicht nur schwarz und weiß. Denn unsere Zukunft wird erst jetzt geboren. Viele Sprachen, viele Ohren. Keine Mauern mehr, no walls anywhere. Tomber les barrières, keine Mauern mehr.“

 

 

Etwas gefühlsduseliger sangen für die BRD Chris Kempers und Daniel Kovac: „Frei zu leben, dem Gefühl vertrauen. Nehmen, geben – ist es so schwer? Frei zu leben und nach vorne schauen. Schritt für Schritt, Hand in Hand, mehr und mehr.“ Und weiter: „Einsam sind wir nicht, aber jeder ist allein. Reissen wir die unsichtbaren Mauern endlich ein.“

 

 

Ganz konkret wurde der Norweger Ketil Stokkan mit seinem Titel Brandenburger Tor, in dem er den Fall der Berliner Mauer besang: „Vi så menneska gråte av glede. Og ei grense åpne mot øst.“ Sinngemäß etwa: Wir sahen Menschen vor Freude weinen und eine Grenze, die nach Osten offen war. Wir stehen hier am Brandenburger Tor. Hand in Hand, als ob es gestern war. („Her står vi på Brandenburger Tor. Hånd i hånd som om det i va‘ går.“)

 

 

Dass die politische Botschaft alleine nicht genügt, um einen Musikwettbewerb zu gewinnen, zeigt sich im Jahr 1990 sehr deutlich. Der norwegische Mauerfall-Schlager belegte den letzten Platz während der italienische Vereinigungsappell gewann und 2017 ein Revival auf europäischen Marktplätzen erlebt.