#uploading_holocaust

Wie erinnert man heute an den Holocaust? Und wie erreicht man mit dieser Erinnerung die Jugend? Letzteres ist durchaus ein Problem. Die Generationen der Betroffenen und ihrer Kinder hatten einen direkten Bezug zum Massenmord an den europäischen Juden durch die Deutschen. Ich, Jahrgang 1985 als Teil der sog. Enkelgeneration, habe diesen direkten familiären Bezug nicht (mehr). Klar, in der Schule lernte ich viel über „das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte“ (ein Geschichtslehrer) und indirekt auch über das Gefühl, dass auch für mich das Thema Schuld noch nicht ad acta zu legen ist. Schuldig habe ich persönlich mich zwar nie gefühlt, wohl aber verantwortlich. Verantwortlich dafür, dass ich gemeinsam mit allen anderen eine gesellschaftliche Verantwortung trage, die es von mir verlangt, nicht zu vergessen. Mit dieser Rolle kann ich mich gut arrangieren, auch wenn diese Verantwortung stets eine Verpflichtung und damit in letzter Konsequenz ein Zwang ist. Von einem „Erinnerungsregime“ spricht man in der Forschung.

Das Projekt #uploading_holocaust wurde vom BR, rbb, ORF und verschiedenen deutschen und österreichischen Vereinen und Initiativen ins Leben gerufen. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Umfrage, in der man nicht nur seine Meinung und Einschätzung abgibt, sondern zugleich sehr viel lernt. Im Zentrum steht die Frage, wie wir heute den Holocaust erinnern und erinnern wollen. Die Umfrage ist durchzogen von Videos junger Menschen, die sich beim Besuch von Konzentrationslagern oder Gedenkveranstaltungen gefilmt haben oder ihre Eindrück im Nachhinein filmisch festhalten. Manche waren für mich irritierend, wie das erste Video eines jungen YouTubers, der auf einem Parkplatz den Besuch der KZ Auschwitz ankündigt. Seine Egal-Haltung springt einem ebenso ins Gesicht, wie der aufgedrehte Kumpel aus dem Hintergrund. Manche Videos waren höchst emotional, zum Beispiel als eine israelische Jugendgruppe die Gaskammern besucht und aus den geschwätzigen Jugendlichen schweigende und zutiefst betroffene Beobachter wurden.

Und hier liegt eine besondere Stärke des Projektes: Es will grenzüberschreitend sein – geografisch wie emotional. Zu sehen, wie israelische Jugendliche mit dem Holocaust konfrontiert werden, zeigt, dass das Thema im deutschen Schulnterricht im Vergleich eine Nebenrolle spielt: Fast jeder Schüler in Israel fährt einmal auf Klassenfahrt zu Orten des Holocaust. Das ist aus vielerlei Gründen verständlich. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Erinnerungsregime wirkt, das nicht nur auf Erinnerung setzt, sondern die Intensität des authentischen Ortes nutzt, um mit Vehemenz ein Selbstbild zu etablieren, das sich von der Opfer-Täter-Dichotomie noch längst nicht verabschiedet hat. Die Intensität scheint viele der Jugendlichen zu überfordern – manche reagieren mit Emotionen, manche mit Emotionslosigkeit, weil sie nicht wissen, wie die mit der Erwartungshaltung umgehen sollen.

Erinnerung wird hier zur Belastung. Zu Recht kann man fragen, ob man dies aushalten können muss, um die Bedeutung eines so gewaltigen Prozesses wie des Holocausts wirklich zu verstehen. In gelehrten Kreisen lehnt man eine solche Konfrontation in der Regel ab und verweisen dabei auf den Beutelsbacher Konsens, der einst ein Überwältigungsverbot für die politische Bildung manifestierte. Zu Recht mag man aber ebenso fragen, ob dieses Überwältigungsverbot in seinen absoluten Auslegung noch zeitgemäß ist. Konkret: In einer über und über medialisierten Welt wird die junge Generation der Digital Natives in jedem Augenblick mit Content bombardiert. Nicht nur mit Katzenvideos, sondern auch mit gewaltsamer Pornografie, prügelnden Jugendlichen in der U-Bahn oder Enthauptungen durch den IS. Gewalt ist in jedem Moment abrufbar; ihr Konsum macht macht die Gewalt zu etwas im Wortsinne Alltäglichem. Ich würde daraus nicht schließen, dass die Gewaltbereitschaft deshalb steigt. Aber mit der Präsenz im Alltag geht eine Desensibilisierung einher, die sich auf andere Bereicht, wie die Vergangenheit, verstärkt überträgt. Wer desensibilisiert ist, wird kaum noch etwas dabei empfinden, wenn der Geschichtslehrer Zahlen von Mordopfern nennt oder Schwarzweißbilder von Leichenbergen aus Ausschwitz. Zumindest wird diese Empfindung nicht nachhaltig sein. Der Zugang zum Verständnis der Vergangenheit und ihrer reelen Bedeutung für unsere Gegenwart ist bedingt durch eine – wie auch immere geartete – emotionale Verbindung. Im Zeiten größerer Desensibilisierung müssen wir in der historisch-politischen Bildung eine größere emotionale Nahbarkeit entgegensetzen. Nicht indoktrinierend und mit erhobenem moralischen Zeigefinger. Sondern packend, fesselnd, berührend und eine eigene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fördernd.

Kurz: Der Beutelsbacher Konsens bietet einen klugen Rahmen für die historisch-politische Bildung in einer Demokratie. Über die Auslegung eines Begriffs wie dem Überwältigungsverbot sollte man aber dringend wieder mehr diskutieren – vor allem auch außerhalb der Gedenkstättenpädagogik, für die diese Fragen Alltagsgeschäft sind. Das Projekt #uploading_holocaust konfrontiert die BesucherInnen der Website mit unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema und ist allein deshalb eine Bereicherung. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die Umfrage bringt…