Renaissance des Widerstands?

Pünktlich zum #HistorySongFriday, der sich in meiner Twitter-Filterblase großer Beliebtheit erfreut, möchte ich mich öffentlich wundern. Derzeit ist ein Lied in vielen Ohren und auf ebenso vielen Lippen, das so gar nicht den Anforderungen aktueller Spotify-Algorithmen zu entsprechen scheint: Bella Ciao! Eine sehnsuchtsschlagereske Melodie zu einem Text über Abschied. Ein Klassiker in Italien und weit darüber hinaus. Und nun wieder en vogue. Warum? Netflix. In der spanischen Erfolgsserie „Haus des Geldes“, in der ein Team aus erfahrenen Kriminellen unter Anleitung des „Professors“ die spanische Nationalbank ausrauben will, singt besagter Professor mit seinem Mitstreiter Berlin in der finalen Folge der ersten Staffel das Lied.

Eine nette Gesangseinlage? Ein emotionaler Augenblick der Serie? Sicher. Doch wer die Geschichte des Liedes kennt, erkennt die Tragweite seines Serienauftritts. Die Melodie sei, so behauptet Wikipedia, bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts von norditalienischen Reispflückerinnen intoniert worden. Sie machten auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam: „Es beklagt die harten Arbeitsbedingungen unter der stechenden Sonne. Bereits die erstmals 1906 dokumentierte Fassung trägt die Züge eines Protestliedes gegen den Chef, der ‚mit einem Stock in der Hand‘ die Arbeit überwacht, das Leben der Frauen ‚aufzehrt‘ und obendrein wenig zahlt. Doch eines Tages, so hofft die Erzählerin, werden die Frauen ‚in Freiheit‘ arbeiten.“

Wesentlich bekannter ist allerdings eine spätere Version des Liedes. Bella Ciao wird nämlich zur Hymne der Partisanen gegen den italienischen Faschismus und somit in der Nachkriegszeit zum Lied der italienischen Republik. „Der Text, dessen Autor unbekannt ist, lobt den Freiheitskampf der Partisanen und gedenkt ihrer Toten, die als Helden betrachtet werden. Das Lied gehört in linken Kreisen zu den bekanntesten Kampfliedern und wird noch heute von linken Kräften dem faschistischen Kampflied Faccetta Nera entgegengesetzt. Wie viele Lieder der Arbeiterbewegung wurde es in zahlreiche Sprachen übersetzt.“

Ein Lied des Freiheitskampfes gesungen in einer Serie über Bankraub? Das Motiv der Kapitalismuskritik liegt auf der Hand. Die Gangster untergraben die staatliche Autorität, drucken ihr eigenes Geld und hoffen so, die Freiheit zu erlangen, die ihnen in ihrem Leben vermeintlich verwehrt bleibt. Der Dieb als Partisan gegen den ‚Faschismus‘ des Staates. Die große Frage ist nur: Kommt diese Botschaft bei den ZuschauerInnen an, die dieser Tage summend durch die Straßen ziehen, wie es beispielsweise die Rheinische Post in Düsseldorf beobachtet haben will, wo riesige Netflix-Werbung für die Serie das eingerüstete Schauspielhaus ziert? Das darf bezweifelt werden.

Das Lied ist ein Evergreen. Coverversionen des Liedes hat es immer gegeben. Auch politische, wie die italienisch-deutsche Version von Hannes Wader und Konstantin Wecker. Denn das Lied gehört zum festen Kanon der Antifaschisten – auch in Deutschland.

Die antifaschistische Tradition des Liedes haben insbesondere die ItalienerInnen bis heute nicht vergessen. Als der neue Innenminister Matteo Salvini, der gemeinhin nicht als Freund linker Politik gilt, vor kurzem in einem Bus erkannt wird, singen die kritischen MitfahrerInnen ihm ein „Ständchen“: Bella Ciao. Einen Bericht dazu hat Bento veröffentlicht.

Deutlich weniger politisch nimmt ‚Bella Ciao‘ aber auch wieder Anlauf auf die Charts. Die offizielle Version der Serie ist ein Remix von DJ Hugel. (Auf YouTube 12 Millionen Klicks.) Außerdem gibt es eine erfolgreiche Deutschrap-Version von Juri, Sun Diego und Scenzah (1,5 Millionen Klicks), eine italienisch-französische Version von Maître Gims und Co. (14 Millionen Klicks) und seit heute eine anglisierte Version des deutschen Teenie-Schwarms Mike Singer. Wer auf YouTube sucht, findet zahlreiche weitere Versionen. Viel Spaß beim Hören! Ein Ohrwurm ist garantiert.