America First und #MuslimBan – historische Wurzeln

Einige Gedanken zur Tagespolitik…

„Widerwärtig und abscheulich“ nannte der Präsident des jüdischen Hilfsverbands HIAS, Mark Hetfield, den Erlass des US-Präsidenten Donald Trump , der online als #MuslimBan gehashtaggt wird. Ab sofort gilt ein Einreisestopp für Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern (Syrien, Irak, Iran, Sudan, Libyen, Somalia und Jemen), denn deren Einreise „schade den Interessen der Vereinigten Staaten“, wie es in dem Dekret heißt. Es gehe dem Präsidenten dabei um „Terroristen“ und „Kriminelle“, deren illegalen Aktivitäten man dadurch verhindern wolle. Die Order gilt vorerst für 3 Monate, in denen die zuständigen Behörden ein verschärftes Prüfverfahren für die Visavergabe einrichten sollen.

In einer Protestnote fordern zudem 1700 Rabbiner den Präsidenten auf, „Amerikas Türen offen zu halten“, wie die FAS am heutigen Sonntag berichtet. Dass nun gerade jüdische Institutionen dagegen protestiert, ist nicht verwunderlich. Sie verweisen auf die 1930er Jahre, als die USA verfolgten jüdischen Emigranten aus Europa die Einreise verweigerte. Die Abschottungspolitik lässt sich auf formeller Ebene auf das Jahr 1924 zurückführen, in dem der Immigration Act verabschiedet wurde. Die Faustregel war einfach: Die Anzahl der Immigranten, die aus jedem Land in die USA jährlich einwandern durften, wurde auf 2 % der bereits aus diesem Land stammenden Bevölkerung begrenzt. Der Immigration Act benachteiligte vor allem Emigranten aus Süd- und Osteuropa. Anfang der 1920er Jahre handelte es sich dabei vor allem um Jüdinnen und Juden, die vor Pogromen und Verfolgung in den sich neu formierenden ost-, ostmittel- und südosteuropäischen Staaten flohen. Die große Zahl dieser Geflüchteten wollte man in den USA nicht aufnehmen.

Viele der Migrantinnen und Migranten jener Jahre versuchten ihr Sehnsuchtsziel, die USA, zu erreichen. Durch die Quotierung wurde dies für viele unmöglich. Tausende von ihnen strandeten in Deutschland. Ihr Ankommen entfachte eine gesellschaftliche Debatte über geflüchtete Jüdinnen und Juden, die wir in unserem Projekt Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben – „Lästige Ausländer“ in der Weimarer Republik vor kurzem untersucht haben. Ganz bewusst haben wir den Begriff „unerwünscht“ in das Zentrum des Projektes gestellt, denn er charakterisiert das Leben der Geflüchteten in Deutschland gut. Als sich im Februar 1920 die NSDAP in München gründete, basierte das Programm der noch unbedeutenden Kleinstpartei auf einem starken Antisemitismus. Im 25-Punkte-Programm erklärte die Partei zunächst: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Zugleich forderten die Nationalsozialisten, „daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Bürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremden Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen.“ Letzteres war keineswegs eine genuin nationalsozialistische Position; für zahlreiche Parteien und Behörden galt die Maxime, dass Nicht-Staatsangehörige ihr Aufenthaltsrecht in den deutschen Ländern verwirkten, wenn sie dem Staat „zur Last“ fielen. So kam es in den 1920er Jahren auch zu vielfachen Ausweisungen „unerwünschter Ausländer“, für die seit 1921 sogar die ersten Konzentrationslager in Stargard und Cottbus-Sielow eingerichtet wurden. (Mehr dazu in unserem Projektband.) In der Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik der Weimarer Republik sind daher auch deutliche Wurzeln der radikalisierten NS-Politik zu finden.

Die antisemitischen Strömungen in den USA waren ebenfalls sehr stark. In den frühen 1930er Jahren wurde ein Schlagwort populär, das für uns heute wieder sehr aktuell ist: America First. Das Schlagwort wurde zunächst von den amerikanischen Sympathisanten der deutschen Nationalsozialisten gebraucht, wie der amerikanische Historiker Eric Rauchway vor einigen Monaten in der Washington Post erklärte: „During the early 1930s, as the Nazis consolidated control over Germany, the U.S. media baron William Randolph Hearst began touting the slogan “America First” against President Franklin Roosevelt, whom he saw as dangerously likely to ‚allow the international bankers and the other big influences that have gambled with your prosperity to gamble with your politics.‘ Hearst regarded Roosevelt’s New Deal as ‚un-American to the core‘ and ‚more communistic than the communists‘ — unlike Nazism, which he believed had won a great victory for ‚liberty-loving people‘ everywhere in defeating communism.“

Die gesellschaftliche Ablehnung von Jüdinnen und Juden sollte noch weiter steigen. In einer Umfrage von 1939 gaben 53% der amerikanischen Befragten an: „Jews are different and should be restricted“. 10% befürworteten gar die Deportation. Zahlreiche weitere Umfragen bestätigen die Ablehnung von Geflüchteten – selbst als es sich um jüdische Kinder aus Deutschland handelte. Neue Verbände gründeten sich, wie 1940 das America First Committee, das mit Charles Lindbergh, Henry Ford und Walt Disney auch sehr schnell prominente Unterstützer fand und für einen starken Isolationismus (sowie die Nicht-Beteiligung am beginnenden Zweiten Weltkrieg) eintrat. Bis zu 800.000 Mitglieder verzeichnete das Committee.

Unser heutiges Bild der USA ist geprägt durch Begriffe wie Freiheit und Toleranz, also demokratische Ideale, die wir erstrebenswert finden. Die Politik Trumps, die er in den ersten Tage seiner Präsidentschaft per Dekret anordnete, bringt dieses Bild gewaltig ins Wanken. Scheinbar bewusst werden alte Parolen (America First) wieder aufgenommen und damit ein Exklusionspolitik betrieben, die viele den USA nicht (mehr) zugetraut hätten. Doch: Nur weil die Ideen nicht neu sind, werden sie leider nicht weniger erschreckend. Geschichte wiederholt sich nicht. Doch vertiefen die historischen Parallelen die Sorgenfalten auf der Stirn des Historikers. Hoffentlich finden die 1700 Rabbiner Gehör, genauso wie die zahlreichen anderen Proteststimmen in den USA und auf der ganzen Welt.